Deutschland hat kein Swag?

am 27. November 2011 in #Musik #Texte

Ich höre in letzter Zeit mal wieder vermehrt Übersee Hip Hop, der jenseits von Stones Throw, OFWGKTA und den anderen Untergrund Perlen stattfindet — also im Mainstream. Das sind übliche Verdächtige wie Rick Ross, Young Jeezy, T.I., Drake oder auch mal der kleine Weezy — wenn irgendwie möglich über die neuste Lex Luger Produktion flexend. Für mich ist das kein ironisches Statement oder ähnliches. Ich finde es in Ordnung, dass ich dabei erwachsenen Männern zuhöre, wie sie mir Hustler Anekdoten erzählen, um gleich danach ihre expliziten After Party Aktivitäten zu erläutern. Ich nehme sie dabei ernst, oftmals sogar beim Wort und finde es nicht mal schlimm, wenn sogar ein Indiependent MC wie Mac Miller auf seinem ersten Mixtape tönt:

»Bitch, who the fuck you think you’re playing with, I’m Justin Bieber meeting Jadakiss.«

Um ein paar Monate später ohne Major Deal auf #1 zu gehen.

Alles kein Problem, aber was mir dabei auffällt: wenn ich dann mal wieder irgendeinen deutschen MC beim Prollen zuhören muss — ja, es gibt noch immer einige, die auf ihrem kleinen, persönlichen 2003er-Aggro-Film hängengeblieben sind — finde ich das peinlich. Unfassbar peinlich. Egal wie kredibil und authentisch der Junge, der da rappt, auch sein mag, ich will ihn nicht mit seinen kriminellen Aktivitäten prahlen hören und auch nicht wissen, welche Hoe er zuletzt im Bett hatte oder wie oft er im Casino* seine letzten Cents verspielt. Auf Deutsch ist das peinlich. Deutschen steht die dicke Hose nicht**. Strassenrap funktioniert höchstens noch dann, wenn er reflektiert und tendenziell defensiv ausgerichtet ist, wie das zum Beispiel beim Hamburger Nate57 der Fall ist. Reines Rumgeprolle á la Rick Ross funktioniert hierzulande höchtens ironisch (♥), aber selbst dann wirkt ein Track wie Caspers Jeezy Hommage »Die Welt steht still« auf einem Album wie »Hin zur Sonne«, das den Anspruch hat etwas zu erzählen, ziemlich deplatziert. Spätestens seit dem oktroyierten Demokratieprozess nach 1945 scheinen wir Deutschen unseren Landsmännern das kleine Bisschen Rumgeprolle nicht mehr zugestehen können, geschweige denn, dass irgendein Rapper mit etwas Verständnis für unsere Kultur den Mut dazu hätte. Eigentlich ist das schade, denn das typisch amerikanische Selbstbewusstsein eines T.I. steht dem gut zu Gesicht und es ist doch sicherlich nichts schlechtes, dass der gute Rick Ross, der seinen Schwabbelbauch auf seinen Albencovers zelebriert, als ernsthaft arbeitender CEO seiner Maybach Music Group respektiert wird. Ausser dem Aggro Berlin Kollektiv während der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts hatten die Rapper unserer Nation nie diesen Swag und diese Anziehungskraft, den ihre amerikanischen Vorbilder mit ihrer Selfmade-Alles-oder-Nichts-Mentalität versprühen können. Schade, aber wie gesagt: welcher vierzigjährige Multimillionär könnte denn hier mit solchen Zeilen um die Ecke kommen?

»Can’t wear skinny jeans, ‚cause my nuts don’t fit.«

Oder würde einfach mal so einen Auftritt im deutschen Fernsehen hinlegen?

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**) Haftbefehl mal ausgenommen (andere Liga).



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